- Physiknobelpreis 1950: Cecil Frank Powell
- Physiknobelpreis 1950: Cecil Frank PowellDer Brite erhielt den Nobelpreis für die Entwicklung der fotografischen Methode zur Untersuchung der Kernvorgänge und für die Entdeckung der Mesonen.Cecil Frank Powell, * Tonbridge (Kent) 5. 12. 1903, ✝ Bellano (Italien) 9. 8. 1969; 1927 Promotion in Cambridge, ab 1927 Assistent an der Universität Bristol, ab 1948 dort Professor und ab 1964 Direktor des dortigen Physiklaboratoriums, ab 1956 Präsident der Weltföderation der Wissenschaftler; Mitinitiator der »Pugwash-Bewegung« (Friedensnobelpreis 1995).Würdigung der preisgekrönten LeistungWenige Jahre nach dem Abschluss des bis dahin größten Forschungsprojekts aller Zeiten, des amerikanischen Atombombenprojekts, mitten im Aufstieg der »Big Science«, der gigantischen und unaufhaltsam größer werdenden Forschungsanlagen, setzte der Physikpreis des Jahres 1950 an Cecil Frank Powell gleichsam einen Kontrapunkt. Er wurde für eine Leistung vergeben, die den Beweis erbrachte, dass »Entdeckungen von fundamentaler Bedeutung immer noch mit einfachstem Apparat [...] gemacht werden können«.Mittelschwere TeilchenDie »Entdeckungen von fundamentaler Bedeutung« beziehen sich auf den Nachweis des so genannten Pi-Mesons oder Pions, der Powell und seiner Arbeitsgruppe in Bristol 1947 gelungen war. Es handelt sich dabei um ein »mittelschweres« Teilchen (daher der Name Meson, der sich von dem griechischen Wort für Mitte ableitet), also ein Teilchen, welches schwerer als ein Elektron ist, aber leichter als ein Proton oder Neutron, die anderen bis dahin bekannten elementaren Bausteine der Materie. Ein solches mittelschweres Teilchen war 1935 von dem japanischen Physiker Yukawa (Nobelpreis 1949) aus theoretischen Überlegungen zu den Kräften innerhalb der Kerne vorhergesagt worden. Die Situation wurde dadurch kompliziert, dass zwar Ende der 1930er-Jahre auf Nebelkammeraufnahmen der kosmischen Strahlung ein von seiner Masse her genau passendes, neues mittelschweres Teilchen gefunden worden war, seine Eigenschaften dann aber bei näherem Hinsehen doch nicht zu Yukawas Vorhersage passten. Die Entdeckung eines weiteren mittelschweren Teilchens löste diese unklare Situation auf, zumal Powell nachweisen konnte, dass Pionen in Müonen zerfallen und es demnach zwischen den beiden neu entdeckten Teilchen einen Zusammenhang gab.Wie aber sah es mit dem »einfachsten Apparat« aus, der im Eingangszitat so ausdrücklich hervorgehoben wurde? Nun, das Prinzip ist in der Tat einfach: Ein geladenes Teilchen ionisiert beim Durchgang durch eine fotografische Emulsion die Silberbromidkörnchen auf seiner Spur, die somit nach Entwickeln der Fotoplatte als schwarze Linie erkennbar ist. Die österreichische Physikerin Marietta Blau experimentierte um 1930 in Wien als Erste in dieser Art mit Emulsionen und erhielt auch erste Aufnahmen von Teilchen der kosmischen Strahlung. Der Teufel steckt bei dieser Technologie allerdings im Detail, und zwar in vielfältiger Weise. Die üblichen Emulsionen waren beispielsweise zu dünn; viele Teilchen flogen einfach hindurch, ohne die gewünschten Kernreaktionen innerhalb der Schicht zu vollführen. Eine größere Schichtdicke brachte aber Probleme für das gleichmäßige Entwickeln und Trocknen der Filme. Ohne feste Stelle und finanzielle Unterstützung, ab 1938 als Jüdin zur Emigration gezwungen, konnte Blau diese Probleme nicht durchschlagend lösen. Die Publikationen von ihr und ihrer Mitarbeiterin wurden aber für Powell Ende der 1930er-Jahre zum Anstoß, diese Technologie zu erproben. Den Anlass dazu bot der Krieg. Powell lehnte zwar aus moralischen Gründen eine Mitarbeit am Atombombenprojekt ab, erforschte jedoch gewissermaßen als Hilfsarbeit während des Zweiten Weltkriegs in Bristol mithilfe von Fotoemulsionen das Verhalten von Neutronen beim Beschuss von Uran oder Blei. Diese Forschungen führten zur Bildung eines zentralen Emulsionskomitees, in dem Vertreter der Fotoindustrie und Physiker miteinander an der Optimierung der Emulsionen hinsichtlich ihrer Empfindlichkeit, Korngröße, Korndichte usw. arbeiteten. Dieses Komitee wurde zur Keimzelle von Powells Zusammenarbeit mit Ilford und anderen Fotofirmen, und in der Tat lassen sich die wissenschaftlichen Früchte wie 1947 die Entdeckung des Pions direkt auf die jeweils sprunghaft verbesserten Emulsionen zurückführen.Daneben entwickelte Powell auch eine Organisationsstruktur, die die Verteilung der mühsamen Auswertungsarbeit — die entwickelten Streifen mussten Millimeter für Millimeter mit dem Mikroskop auf Spuren abgesucht werden — auf viele angelernte Hilfskräfte ermöglichte. Die Physiker hätten diese Arbeitslast allein niemals bewältigen können. Schließlich sorgte Powell durch ständige Vergleiche mit Nebelkammer-Fotografien und Eichmessungen dafür, dass die Spuren in den Emulsionen auch von anderen Physikern als sichere und quantitativ auswertbare Nachweismethode akzeptiert wurden. Ohne diese vermeintlichen Randaspekte der Forschungsarbeit wären die Kernemulsionen niemals zu dem durchschlagenden Instrument geworden, das sie Ende der 1940er-Jahre in den Händen von Powell und seiner Arbeitsgruppe darstellten.Der kosmischen Strahlung auf der SpurDie Nobelauszeichnung kam zu einer Zeit, als das Gebiet in voller Blüte stand und kontinuierlich neue Ergebnisse lieferte. Auch der Nobelvortrag spiegelt diesen Umstand. Powell sprach keineswegs über die mit dem Preis gewürdigten Leistungen der Vergangenheit, sondern trug die neuesten Entdeckungen zur kosmischen Strahlung vor. Für die Erforschung dieser permanent aus dem Weltraum auf die Erde treffenden Strahlung waren die Kernemulsionen das Mittel der Wahl, da sie weder eine Versorgung mit elektrischer Energie noch eine permanente Betreuung erforderten und dank ihres relativ geringen Gewichts mit unbemannten Ballons in die entsprechenden Höhen gebracht werden konnten. So wurde es möglich, die Identität der aus dem Weltraum auf die Erde treffenden Teilchen und ihre Umwandlungsprozesse in der Erdatmosphäre zu verstehen. Ein wissenschaftlich höchst willkommener Nebeneffekt war die Entdeckung neuer, bislang unbekannter Teilchen (wie eben auch der Pionen und Müonen). Da die Erforschung der kosmischen Strahlung mit diesen Methoden zudem relativ kostengünstig war, hatte sie vor allem in den europäischen Ländern, die nach dem Zweiten Weltkrieg mühsam ihre Forschungen wieder aufbauten, Hochkonjunktur. In den USA hingegen verwendete man zu dieser Zeit schon systematisch immer stärkere Maschinen zur Beschleunigung von Teilchen. Etwa ab der Mitte der 1950er-Jahre konnten diese von der Energie her mit der kosmischen Strahlung mithalten und lieferten deutlich größere Mengen an Teilchen beziehungsweise Reaktionen zwischen verschiedenen Teilchen. Diese Prozesse wurden mit den in dieser Zeit entwickelten Blasenkammern untersucht, sodass die Kernemulsionen und die Untersuchung der kosmischen Strahlung zunehmend an Bedeutung verloren.Anfänge des arbeitsteiligen ExperimentierensDer Nobelpreis für Powell würdigt vordergründig eine Technologie zum Aufspüren von elementaren Bausteinen der Materie, die für ein Jahrzehnt, etwa von der Mitte der 1940er- bis Mitte der 1950er-Jahre, die Methodik der vordersten Forschungsfront war, ehe sie ihrerseits abgelöst wurde. Darüber hinaus aber erweisen sich die Kernemulsionen im Rückblick als ein bedeutender Schritt zu jenen komplexen arbeitsteiligen Experimentierkonstellationen, die gerade in der Teilchenphysik typisch werden sollten. Powells Fähigkeit, die Zusammenarbeit zwischen Physikern und Emulsions-Chemikern aus der fotografischen Industrie zu organisieren oder eine Vielzahl ungelernter Kräfte für die Auswertung der Ergebnisse heranzuziehen, war von entscheidender Bedeutung für das Gelingen seiner Forschung. Die mit dem Nobelpreis auch gewürdigte organisatorisch-logistische Leistung steht der physikalisch-wissenschaftlichen nicht nach; im Rückblick bildet sie vielleicht sogar den prägenderen Aspekt für die weitere Entwicklung der Physik.B. Ceranski
Universal-Lexikon. 2012.